Deepf­ake und Desinformation

Wie das For­schungs­pro­jekt news-poly­graph mit einer KI-Platt­form gegen Medi­en­ma­ni­pu­la­ti­on vorgeht

Der Papst als Hip-Hop-Mogul in wei­ßer Dau­nen­ja­cke, die gewalt­sa­me Fest­nah­me Donald Trumps oder ein ver­meint­li­cher Video­call zwi­schen der ehe­ma­li­gen Regie­ren­den Bür­ger­meis­te­rin Fran­zis­ka Gif­fey und Kiews Bür­ger­meis­ter Vla­di­mir Klit­sch­ko: Künst­li­che Intel­li­genz ist mitt­ler­wei­le in der Lage, uns auf real erschei­nen­den Fotos oder Vide­os eine fal­sche, aber per­fekt insze­nier­te Wirk­lich­keit zu sug­ge­rie­ren. Das hat zwar Unter­hal­tungs­wert, aber wir müs­sen bei vie­len Arti­keln oder Social-Media Bei­trä­gen fra­gen: Was ist wahr und was nicht? Denn ver­öf­fent­li­chen kann heut­zu­ta­ge jede:r. Quel­len­an­ga­ben oder mehr­stu­fi­ge Veri­fi­zie­run­gen braucht es in den sozia­len Medi­en nicht. Eine Her­aus­for­de­rung für Journalist:innen und Medi­en­häu­ser – sie müs­sen inner­halb von Stun­den ent­schei­den, ob ihnen zuge­spiel­tes Mate­ri­al Nach­rich­ten­wert hat und in ihre Bericht­erstat­tung auf­ge­nom­men wird.

Wie veri­fi­ziert man die­se Quel­len? Wel­che Maß­stä­be zur Ein­ord­nung setzt man an? Um gegen Pro­pa­gan­da und Fake News vor­zu­ge­hen, braucht es gute Werk­zeu­ge und Sen­si­bi­li­sie­rung durch alle Ebe­nen hin­weg. Ein sol­ches Werk­zeugset ent­wi­ckelt gera­de das For­schungs­pro­jekt news-poly­graph, des­sen Koor­di­na­ti­on bei trans­fer­me­dia im Media Tech Hub ange­sie­delt ist. Die Platt­form, qua­si ein digi­ta­ler Lügen­de­tek­tor, soll so zukünf­tig die Arbeit der Journalist:innen erleichtern.

Fak­ten che­cken ist und war schon immer eine der zen­tra­len Auf­ga­ben des Jour­na­lis­mus. Neu ist die mas­si­ve Daten­men­ge – hier braucht es neben der Sen­si­bi­li­sie­rung gute, ver­läss­li­che Tools, um vali­de Aus­sa­gen tref­fen zu kön­nen. Vie­le Medi­en­häu­ser haben Fak­ten­check-Redak­tio­nen oder bie­ten Wei­ter­bil­dun­gen an. Und eini­ge haben sich eine Art Werk­zeug­kas­ten selbst zusam­men­ge­stellt, etwa einen Ord­ner mit ver­schie­de­nen Pro­gram­men. Die­se müs­sen dann etwas umständ­lich selbst ange­wählt wer­den. news-poly­graph setzt an bereits vor­han­de­nen Pro­zes­sen an, opti­miert die­se und führt sie in einem Inter­face zusam­men. Im Vor­feld hat sich das For­schungs­bünd­nis mit Medienpartner:innen aus­ge­tauscht und Bedar­fe abge­fragt. Ziel des Pro­jek­tes ist es, eine Platt­form zur Ver­fü­gung zu stel­len, die eine schnel­le, leich­te­re und intui­ti­ve Hil­fe­stel­lung bietet.

Wel­che Inhal­te sind mani­pu­liert – wel­che nicht?

trans­fer­me­dia COO Clau­dia Wolf, die als Bünd­nis­ko­or­di­na­to­rin für das Pro­jekt fun­giert, erklärt: „Auf die popu­lä­re Bezeich­nung ‚Fake News‘ möch­ten wir bei unse­rem For­schungs­pro­jekt aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht gern ver­zich­ten. Uns geht es dar­um, Infor­ma­tio­nen zu veri­fi­zie­ren. Die Ent­schei­dung ob ‚fake‘ oder nicht, die trifft letzt­end­lich immer der Mensch. Wir haben eine Platt­form kon­zi­piert, die den Medi­en­schaf­fen­den und Journalist:innen Werk­zeu­ge an die Hand gibt, Tex­te, Video, Audio und Fotos schnell zu bewer­ten. Beson­ders für News­re­dak­tio­nen ist das wichtig.“

Über ein intui­tiv bedien­ba­res User-Inter­face kön­nen frag­li­che Medi­en­aus­schnit­te per Drag und Drop hin­ein­ge­ge­ben und von einer KI über­prü­fen las­sen. Im Hin­ter­grund lau­fen für sie unsicht­bar Model­le und Diens­te ab. Die Journalist:innen ent­schei­den nur vor­ab, was sie über­prü­fen möch­ten, bestim­men die Rei­hen­fol­ge der Abfra­ge – und ob sie soge­nann­te Crowd-Panels integrieren.

Wäh­rend die Text- und Bild-Veri­fi­ka­tio­nen in Redak­tio­nen bereits fort­ge­schrit­ten sind, ist die Über­prü­fung von Video-Sequen­zen um eini­ges kom­ple­xer. Hier kommt das Fraun­ho­fer Insti­tut als Part­ner ins Spiel. Dort ist man auf die Audio-Sequen­zen spe­zia­li­siert und erstellt etwa für den kri­mi­na­lis­ti­schen Bereich foren­si­sche Audio-Ana­ly­sen. Ande­re Bünd­nis­part­ner wie der rbb oder die Deut­sche Wel­le brin­gen eben­falls wich­ti­ge Schwer­punk­te mit ein.

Die mensch­li­che Crowd als Wahrheitsfinder

Der Fak­ten­check dank mensch­li­cher Crowd-Unter­stüt­zung ist eine Beson­der­heit bei news-poly­graph. Bekom­men Nach­rich­ten­re­dak­tio­nen etwa Mate­ri­al von Whistleblower:innen zur Ver­fü­gung gestellt und haben kei­nen Zugang zu Kon­takt­per­so­nen im jewei­li­gen Land, die die Echt­heit bestä­ti­gen, wer­den die inte­grier­ten Crowd­pa­nels aktiv. Eine Gebirgs­ket­te, Bäu­me, Vege­ta­ti­on zu einer bestimm­ten Jah­res­zeit: Vor Ort leben­de Men­schen kön­nen Bil­der und Vide­os ohne tech­ni­sche Hilfs­mit­tel ein­deu­tig bestim­men. Damit die­se Abfra­ge funk­tio­niert, wer­den Frei­wil­li­ge vor­ab in Crowds zusam­men­ge­fasst und qua­li­fi­zie­ren sich nach einem Anmel­de­pro­zess nach ihrem spe­zi­el­len Wis­sen (via Abfra­gen). Die Zuar­beit durch die Crowd kommt aus dem wis­sen­schaft­li­chen Umfeld, u.a. ist die TU Ber­lin invol­viert, die bereits wäh­rend der Anfangs­pha­se des Ukrai­ne-Kriegs eine Test­pha­se mit ukrai­ni­schen Muttersprachler:innen durch­führ­te. Bei einer Crowd­ab­fra­ge mel­det das Pro­gramm dann zurück, ob eine vor­ab bestimm­te, hohe Pro­zent­zahl der Teil­neh­men­den die glei­che Aus­sa­ge getrof­fen hat.

Auch hier gilt: Letzt­end­lich ent­schei­den die Journalist:innen, ob sie der Bewer­tung zustim­men. Denn, so betont Clau­dia Wolf: „Ent­schei­den muss der Mensch.“ Dar­auf ver­wei­se auch der Pro­jekt­ti­tel „news-poly­graph“. Wie ein Lügen­de­tek­tor sei er nur Mit­tel zum Zweck. Die ori­gi­nä­re Arbeit der Journalist:innen neh­me man nicht ab, das wol­le und kön­ne man nicht: „Es liegt in der DNA der Journalist:innen, Inhal­te ein­zu­ord­nen und zu bewer­ten. Wir geben ledig­lich eine ver­ein­fach­te, schnel­le, gut funk­tio­nie­ren­de und ver­trau­ens­wür­di­ge Hil­fe­stel­lung.“ Der ver­stärk­te Ansatz durch die Crowd­un­ter­stüt­zung gibt dabei nicht nur die Mög­lich­keit, zeit­lich schnell zu reagie­ren, son­dern mit einer Recher­che auch sehr in die Tie­fe zu gehen.

Ein Bünd­nis aus Spezialist:innen

Die seman­ti­sche Ver­knüp­fung über­nimmt das Team von trans­fer­me­dia, die bereits im dwerft-For­schungs­pro­jekt eine Onto­lo­gie für Meta­da­ten instal­liert haben und dar­über hin­aus für die Pro­jekt­steue­rung und Koor­di­na­ti­on der zehn Partner:innen zustän­dig sind. Der tech­no­lo­gi­sche Part ist im Fraun­ho­fer IDMT ange­sie­delt. Ande­re Partner:innenunternehmen sind Uber­me­trics, die sich auf Social Media Aus­schnit­te spe­zia­li­siert haben, neu­ro­cat, die KI-Model­le auf Feh­ler­an­fäl­lig­keit über­prü­fen sowie das Deut­sche For­schungs­zen­trum für Künst­li­che Intel­li­genz und Del­phai, die eine Goog­le-Alter­na­ti­ve für B2B-Zwe­cke stellen.

Per­spek­ti­visch wird der Media­Tech Hub für die tech­nisch-media­le Ebe­ne und die mabb für juris­ti­sche Belan­ge bei news-poly­graph invol­viert sein. Mit erfolg­rei­chem Abschluss des For­schungs­pro­jekts ist eine markt­rei­fe Soft­ware geplant, die die Medi­en­häu­ser bei sich inte­grie­ren kön­nen und die kon­ti­nu­ier­lich aktua­li­siert wird.

Das Pro­jekt ging am 3. Mai 2023 offi­zi­ell in die Umset­zungs­pha­se über. Medi­en­schaf­fen­de kön­nen bereits in den Novem­ber bli­cken: Dann näm­lich wer­den die Pro­jekt­part­ner auf eine Ver­an­stal­tung vor­stel­len, was sie von news-poly­graph in den kom­men­den Jah­ren erwar­ten dürfen.

Foto: Deep­Mind auf Unsplash

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