Gemein­sam Trau­ern in 3D

VYVYT bie­tet vir­tu­el­le Erinnerungsräume

Gestor­ben wird immer – auch in der Tech-Welt. Ava­tare, die an unse­rer Stel­le wei­ter­le­ben oder Chat­bots mit Stim­men von Ver­stor­be­nen – mit sol­chen Ange­bo­ten ant­wor­tet das Sili­con Val­ley auf das mensch­li­che Bedürf­nis, dem Tod und der End­lich­keit etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Und auch hier­zu­lan­de sind Death Tech oder Grief Tech bereits fes­ter Teil der Tech-Sze­ne. Beer­di­gun­gen las­sen sich online orga­ni­sie­ren, Apps beglei­ten den Trau­er­pro­zess. Was bis­her aber fehl­te: Ein gemein­sa­mer vir­tu­el­ler Ort für Hin­ter­blie­be­ne, die unab­hän­gig von Zeit und Raum zusam­men­kom­men kön­nen, um sich an einen Men­schen zu erin­nern. Das Media­Tech Start­up VYVYT bie­tet genau das an: 3D-Räu­me, die als Erin­ne­rungs­or­te fun­gie­ren und in denen sich ein­zel­ne oder meh­re­re Per­so­nen zum Geden­ken zusam­men­schal­ten. Grün­de­rin Lil­li Ber­ger beschreibt: „Wir befin­den uns noch am Anfang, was die Nut­zung vir­tu­el­ler Räu­me angeht. Wer mit der Tech­nik und Steue­rung nicht ver­traut ist, kann skep­tisch sein. Aber wenn man sich dar­auf erst ein­mal ein­lässt, taucht man ins Hier und Jetzt ab - und das ist im Trau­er­kon­text eine wert­vol­le Sache.“

Die Idee ent­stand, als Lil­lis Groß­va­ter wäh­rend der Coro­na­zeit starb und wegen der stren­gen Pan­de­mie-Auf­la­gen kein gemein­sa­mes Trau­ern mög­lich war. Seit­dem ent­wi­ckelt sie gemein­sam mit wei­te­ren Gründer:innen vir­tu­el­le Erinnerungsräume.

Als gelern­te Bestat­te­rin hat­te sie das nöti­ge Vor­wis­sen und feh­len­de Berüh­rungs­ängs­te rund um The­men wie Tod und Trau­er. Auch wenn sie im Anschluss nicht in dem gelern­ten Beruf arbei­te­te, son­dern nach dem Stu­di­um Film und Lea­der­ship in digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on zuletzt in den Berei­chen Pro­duk­ti­on und Doku­men­tar­film-Regie tätig war. Aus dem Umfeld der Film­uni­ver­si­tät Babels­berg KON­RAD WOLF kamen dann auch die Kon­tak­te zum Media­Tech Hub Acce­le­ra­tor. Neben Coa­ching zu Pitch Decks und Inves­to­ren­su­che ent­stand dort eine Kol­la­bo­ra­ti­on mit RAVE​.SPACE. Der Anbie­ter für immersi­ve Web­an­wen­dun­gen hat sich auf vir­tu­el­le Club-Erfah­run­gen spe­zia­li­siert. Auf­grund einer Kol­la­bo­ra­ti­on nutzt VYVYT neben den eige­nen Trau­er­räu­men nun auch Trau­er­räu­me mit der RAVE.SPACE-Technik – Tod statt Techno.

Die Magie drei­di­men­sio­na­ler Räume

Gera­de in der Drei­di­men­sio­na­li­tät sieht Lil­li Ber­ger die beson­de­re Magie. Nach dem Ver­gleich von 2D- und 3D-Raum­an­sich­ten konn­te sich die Mehr­heit der Besucher:innen noch Mona­te spä­ter an die 3D-Räu­me erin­nern und die dar­in plat­zier­ten Objek­te rekon­stru­ie­ren. Mit einem digi­ta­len Baum zum Bei­spiel ver­ban­den sie Erin­ne­run­gen an den Gar­ten der ver­stor­be­nen Groß­mutter. Um sol­che Erin­ne­run­gen her­vor­zu­ru­fen, bedarf es kei­ner rea­li­täts­ge­treu­en Abbil­dung. Hin­wei­se und Anek­do­ten rei­chen aus, um ein Gefühl im Raum zu erzeu­gen. So kann ein digi­ta­ler Trau­er­raum von VYVYT wie eine moder­ne Kathe­dra­le aus­se­hen. Es gibt hohe, schlich­te, licht­durch­flu­te­te Wän­de mit Fotos der Ver­stor­be­nen, in der Mit­te steht ein Baum und wei­te­re digi­ta­le Erin­ne­rung­s­tü­cke wie eine Kaf­fee­tas­se oder das Lieb­lings­es­sen. Aber es gibt auch indi­vi­du­el­le Anfer­ti­gun­gen: Ein Nut­zer etwa wünsch­te sich die Nach­bil­dung der Stamm­knei­pe sei­nes ver­stor­be­nen Vaters, um ihm zu gedenken.

Tech­ni­sches Vor­wis­sen oder 3D Bril­len sind für die Ange­bo­te von VYVYT nicht nötig. Der Raum kann über einen Link auf Smart­phone oder PC betre­ten wer­den. Eine Anmel­dung ist nicht not­wen­dig. Besucher:innen kön­nen sich ein­zeln oder auch mit bis zu 25 Per­so­nen gleich­zei­tig ein­log­gen und mit der PC-Steue­rung oder sich selbst als Ava­tare durch den Raum navi­gie­ren. So bekommt das Gan­ze auch etwas Spie­le­ri­sches und kann Leich­tig­keit in ein schmerz­haf­tes The­ma bringen.

Für eine Kli­en­tin, die nicht mehr lan­ge zu leben hat­te und kör­per­lich durch ihre Krank­heit sehr ein­ge­schränkt war, ermög­lich­te der Raum dank ihres Auf­tritts als Ava­tar ein unge­zwun­ge­nes Tref­fen mit Freund:innen, erzählt Ber­ger. Die Kli­en­tin nutz­te den Raum bereits im Vor­feld ihres Todes. Rund um die Beer­di­gung wur­de die­ser Raum erneut den Traue­ren­den zur Ver­fü­gung gestellt. Damit die Räu­me aktiv genutzt wer­den, benö­tigt es eine kon­kre­te Ein­la­dung oder bestimm­te Anläs­se des Geden­kens, bei­spiels­wei­se Jah­res­ta­ge oder Geburts­ta­ge. Im All­tag geht das Ange­bot sonst oft unter und die Links wer­den sel­te­ner genutzt. Des­halb sind die Räu­me von VYVYT immer auf einen bestimm­ten Zeit­raum begrenzt, auch weil die tech­ni­sche Ent­wick­lung und damit die Dar­stel­lung der Räu­me regel­mä­ßi­ge Updates erfordert.

Ein Meta­ver­se-Ein­stieg für die Bestattungsbranche

Das Start­up hat eige­ne Erin­ne­rungs­räu­me ent­wi­ckelt und nutzt für beson­de­re Ange­bo­te wie vir­tu­el­le Trau­er­fei­ern bereits bestehen­de Meta­ver­se-Platt­for­men wie Spa­ti­al. Im Vor­feld beglei­tet das Team die Trau­ern­den oder Ster­ben­den dabei sehr indi­vi­du­ell. Auf län­ge­re Sicht soll das Ange­bot auto­ma­ti­siert wer­den, aber momen­tan gibt es kei­nen Pro­to­ty­pen, der sich auf alles anwen­den ließe.

Der enge Kon­takt mit den Klienti:innen hat den Vor­teil, dass man sehr viel über deren Bedar­fe erfährt und ver­schie­de­ne Ange­bo­te aus­tes­ten kann. Momen­tan ist die Ziel­grup­pe eher bei den unter 50-Jäh­ri­gen ange­sie­delt, wel­che ver­traut mit digi­ta­len Medi­en sind. In naher Zukunft ist mit Blick auf die Boo­mer-Gene­ra­ti­on ein gro­ßer Bedarf an Trau­er­an­ge­bo­ten zu erwar­ten – sind es doch die gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge, die bald gehen werden.

Auch in der Bran­che selbst sei man sei­ner Zeit noch sehr vor­aus, berich­tet Ber­ger. Die Bestat­tungs­bran­che ist klein­tei­lig und oft in Fami­li­en­be­trie­ben organ­siert. Zudem hat jedes Bun­des­land eige­ne Bestat­tungs­ge­set­ze. Hier sieht VYVYT die Chan­ce, das Ange­bot der Bran­che zu erwei­tern und ihr auf lan­ge Sicht einen Vor­teil in der Welt der digi­ta­len Play­er zu ver­schaf­fen. „Wir sind reich an Bestat­tungs­kul­tur und des­halb ist es wich­tig, auch im Digi­ta­len etwas zu ver­an­kern. Es braucht Lösun­gen, die hier in Deutsch­land ent­wi­ckelt wer­den, um nicht abhän­gig von inter­na­tio­na­len Platt­for­men und gro­ßen Play­ern wie Meta zu sein.“ Ein digi­ta­les Ange­bot gibt loka­len Bestat­tungs­un­ter­neh­men die Mög­lich­keit, ihre Reich­wei­te zu ver­grö­ßern, wie etwa für Ange­hö­ri­ge aus dem Aus­land, die nicht per­sön­lich zur Beer­di­gung kom­men kön­nen, und bie­tet ihnen dar­über hin­aus einen ers­ten Ein­stieg ins Meta­ver­se an.

Die Rück­mel­dung aus der Bran­che ist bis­her sehr posi­tiv. VYVYT sieht sich nicht als Kon­kur­renz der Bestat­tungs­bran­che, son­dern bie­tet eine Ergän­zung an. Es geht nicht nur dar­um, den Abschied zu erleich­tern, son­dern ein gemein­sa­mes Erin­nern zu fei­ern. So, wie es gemein­sa­me Bräu­che und Jah­res­ta­ge rund um Geburts­ta­ge, Hoch­zei­ten oder Weih­nach­ten gibt, so soll der vir­tu­el­le Raum dazu die­nen, noch­mal in Bezie­hung mit dem Men­schen zu treten.

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Die Medientechnologien der Zukunft werden bereits heute angewendet – nicht nur im Entertainmentbereich sondern in den unterschiedlichsten Branchen. Für unseren MediaTech Hub Potsdam Blog spricht Christine Lentz einmal im Monat mit Tech-Enthusiast:innen, Unternehmer:innen und Forscher:innen und erzählt die Geschichten, die hinter ihren innovativen Geschäftsmodellen, Ideen, Projekten oder Kooperationen stecken.